Es reicht! – Plädoyer für weniger Missbrauch im deutschen TV

Den letzten Tatort aus Köln, Kartenhaus, musste ich auf Grund starker Aversionen nach einer Dreiviertelstunde ausstellen. Ich hätte ihn schon viel früher ausstellen sollen, nämlich an dem Punkt, an dem ein junger Mann den sexuellen Missbrauch seiner Freundin durch den Stiefvater rächt und das Mädchen in beispielloser Hysterie auf den Tod des Peinigers reagiert. Spätestens aber an dem Punkt, an dem ebenen jenes Mädchen, deren unfreiwillige Sexualisierung durch einen Erziehungsberechtigten wir verurteilen sollen, ihren in Spitzenhöschen gekleideten Knackpo in die Kamera halten muss.

© WDR/Martin Menke

Kartenhaus © WDR/Martin Menke

Am Morgen nach diesem Fernseherlebnis las ich ein Zitat von Laurie Penny (hier ungerechter Weise auf Deutsch zitiert, aber so habe ich es bei Pinkstinks vorgefunden): „Wir leben in einer Welt, die den unwirklichen weiblichen Körper anbetet und echte weibliche Macht verachtet. Diese Kultur verurteilt Frauen dazu, immer so auszusehen, als seien sie verfügbar, während sie nie wirklich verfügbar sein dürfen, und zwingt uns, sozial und sexuell konsumierbar zu erscheinen, während wir selbst sexuell so wenig wie möglich konsumieren sollen.“ And that’s the fucking point!

Geschändete Frauen* wohin das Auge blickt

Bei der Sichtung des deutschen Fernsehjahres 2015 in der Kommission des Grimmepreises war mir bereits die starke Präsenz der Themen Missbrauch und Gewalt gegen Frauen* aufgefallen. Die RTL-Serie Block B wählt eine Hauptfigur, die wegen der (gescheiterten) Rache am brutalen Ehemann inhaftiert wird. Vergewaltigung ist das zentrale Thema gleich zweier Folgen der Ferdinand von Schirach Reihe Schuld (Episoden Ausgleich und Volksfest), sowie der Sat 1 Produktion Die Ungehorsame. Und das sind nur die Beispiele, in denen Missbrauch den Dreh- und Angelpunkt der Handlung bilden. Dazu kommen zahllose Filme und Serien, in denen Szenen von (sexualisierter) Gewalt gegen Frauen* zwar präsent sind, jedoch eine untergeordnete Rolle spielen. Unter den obig genannten Beispielen befinden sich immerhin drei Filme bzw. Serien, in denen sich die Frauen* aus der Rolle des passiven Opfers befreien und auf die eine oder andere Weise zurückschlagen. Aber reicht das?

© ZDF/ Gordon Muehle

Volksfest © ZDF/ Gordon Muehle

Anfang diesen Jahres, lies der Tatort: Rebecca mir mit einem verstörend an Natascha Kampusch erinnernden Plot das Blut in den Adern gefrieren. Das durch ihren „Erzieher“ auf (sexuelle) Unterwerfung trainierte titelgebende Mädchen, besitzt keinerlei originären Selbstwert. Nur der Dienst am (älteren) Mann gibt ihr eine Aufgabe, eine Existenzberechtigung. Und so ist es nur logisch, dass sie sich nach dem Tod ihres Erziehers nun dem Kommissar unterwirft, der keine andere Möglichkeit sieht, als diese ungewöhnliche Beziehung für die Aufklärung des Falls zu nutzen. Spannend erzählen Regisseur Umut Dag und Drehbuchautor Marco Wiersch hier im Grunde vom Empowerment einer jungen Frau, die sich Schritt für Schritt aus der Rolle einer Leibeigenen befreit. Und doch stelle ich mir die Frage: Muss ich immer wieder sehen, wie Rebecca (Swantje Kohlhofvor Kai Perlmann (Sebastian Pezzel) auf die Knie fällt, wie sie die strengen Regeln ihres ehemaligen Erziehers, das Einmaleins der Erniedrigung, nicht nur für sich, sondern auch für uns immer wieder aufsagt?

Top of the Lake und die Probleme des deutschen Fernsehens

In den letzten Wochen habe ich mir endlich Jane Campions 6-teilige Serie Top of the Lake angesehen (Netflix sei Dank). Auch hier dreht sich alles um sexuellen Missbrauch. Die Geschichte verhandelt das Thema auf den unterschiedlichsten Ebenen und die Auflösung des Kriminalfalls toppte meine schlimmsten Erwartungen. Und doch fühlte ich mich nicht ansatzweise so unwohl wie in den ersten 45 Minuten von Tatort: Kartenhaus. Warum? Was läuft in dieser Hinsicht im deutschen Fernsehen falsch?

© ARD/SWR

Rebecca © ARD/SWR

Zum Einen fehlt in vielen Fällen die Sensibilität für das Thema sexuellen Missbrauchs – ein Umstand, der sicher auch mit der geringen Anzahl von Regisseurinnen in der deutschen Fernsehlandschaft zusammenhängt. Insbesondere der Tatort: Kartenhaus missbraucht sein Opfer doppelt: Einmal durch den Stiefvater (was – zumindest in der von mir gesichteten ersten Dreiviertelstunde – glücklicher Weise nicht visualisiert wird) und ein weiteres Mal durch die sexuell aufgeladene Inszenierung der jungen Frau. Dass in eben jener Darstellung, der Suggestion sexueller Verfügbarkeit, der Schlüssel der Missbrauchsproblematik liegt, übersieht der Film mit frappierender Großzügigkeit.

Es ist scheinheilig, so zu tun, als würde sich das deutsche Fernsehen tatsächlich für Gewalt gegen Frauen* interessieren und einen gesellschaftlichen Missstand mit korrigierend-pädagogischer Intention in die Öffentlichkeit rücken wollen. Tatsächlich nämlich trägt die Sexualisierung und Objektifizierung der Frau*, die Beschränkung ihrer Funktion auf Mütter, Love Interest und Opfer sowie ihre zahlenmäßige Unterrepräsentation erheblich dazu bei, dass eine Rape Culture aufrecht erhalten werden kann. Eine Kultur, die wie Laurie Penny sagt, Frauen* als sexuell verfügbar, nicht aber als selbstbestimmte sexuelle Akteurinnen begreift.

© Sat 1 / Brita Krehl

Die Ungehorsame © Sat 1 / Brita Krehl

Des Weiteren frage ich mich, ob die stete Wiederholung der Bilder von Gewalt und Missbrauch nicht eine Art geistigen Abdrucks hinterlassen. Wenn ich immer wieder sehe, wie Frauen* geschlagen, gedemütigt und vergewaltigt werden, fügen sich diese visuellen Eindrücke in mein Bild von Alltag und Normalität ein. Entsteht dann nicht vielleicht die Vorstellung, Missbrauch und häusliche Gewalt seien zwar verwerflich, letztlich aber eben der bedauerliche Status Quo? Und kann dieses Weltbild nicht am Ende des Tages als Rechtfertigung für eigene Taten herangezogen werden?

Drittens ist es das Fehlen von Alternativen, das hinsichtlich der omnipräsenten Opfer – die nur sehr selten als starke „Überlebende“ inszeniert werden – negativ ins Auge fällt. Denn auch wenn die obig genannten Filme bzw. Serien ihren Protagonistinnen effektive Gegenwehr zugestehen, so bleiben ihre Taten eben genau das: eine Gegenwehr, eine Reaktion. Und so ist in dieser wiederkehrenden dramaturgischen Logik der Mann* der Agierende, die Frau* die Reagierende. Dass es im deutschen Fernsehen eklatant an positiv konnotierter, aktiver weiblicher Sexualität fehlt, ist in diesem Zusammenhang nur ein – wenn auch ärgerlicher – Nebenschauplatz. Dies sind also die Figuren, mit denen sich das weibliche* Publikum identifizieren soll: mit Opfern und passiven, aber sexualisierten Vorzeigekörpern.

© Polyband

Top of the Lake © Polyband

Aber kommen wir zurück zu Top of the Lake. Die sechsteilige Serie bietet gefühlt mehr Frauen*rollen an, als alle Tatorte des vergangenen Jahres zusammen, auch wenn selbst bei Campion meiner Meinung nach noch Luft nach oben bleibt. Die Hauptfigur ist in erster Linie Polizistin, in zweiter Linie eine Frau auf der Suche nach sich selbst und in dritter Linie ein Opfer sexualisierter Gewalt. Ihr Körper wird in der gesamten Serie nicht ein einziges mal voyeuristisch sexualisiert, wie auch andere weibliche* Körper, die hier Opfer sexuellen Missbrauchs werden, den Zuschauer_innen niemals als erotisches Anschauungsobjekt angeboten werden. Das Thema sexualisierte Gewalt wird klar als Phänomen einer männlich dominierten, patriarchal organisierten Gesellschaft dargestellt und hierzu sogar eine Alternative angeboten. Eine Gruppe Frauen* versammelt sich in der Abgeschiedenheit des Spielorts um den weiblichen Guru GJ (Holly Hunter), der sich jedoch schließlich als unwillig erweist. Denn im Unterschied zur patriarchalen Gesellschaft, mit ihren hierarchischen und sexistischen Machtstrukturen, möchte GJ niemals Regeln oder auch nur eine Richtung vorgeben. Die Überhöhung ihrer Position durch die anderen Frauen* scheint sie eher zu stören als zu bestätigen. Ihre geistige Führung ist im Grunde keine: Alles was GJ den Menschen lehren möchte, ist Selbstvertrauen, also das Vertrauen in die eigenen Gefühle und Entscheidungen.

© Sat 1 / Britta Krehl

© Sat 1 / Britta Krehl

Kontext vs. Elendsvoyeurismus

Top of the Lake zeigt, wie eine Serie das Thema Missbrauch sensibel und komplex behandeln kann, ohne es als voyeuristische Showeinlage zu nutzen. Die obig genannten deutschen Fernsehproduktionen jedoch bedienen sich des Themas als Selbstzweck. Es findet keine Kontextualisierung und dementsprechend auch keine echte Problematisierung statt. Am deutlichsten wird dies vermutlich beim Blick auf die Gefängnisserie Block B, bei der sich ein Vergleich mit dem Netflix-Format Orange is the New Black mehr als aufdrängt. Die US-amerikanische Variante zeigt keine Frauen* in Opferrollen. Hier begehen die Protagonistinnen ihre Straftaten nicht, weil sie keine andere Wahl haben, sondern weil sie falsche Entscheidungen treffen. Und: Das Gefängnis ist keine reine Kulisse, sondern ein symbolischer Mikrokosmos, der patriarchale und auch kapitalistische Machtstrukturen des US-amerikanischen Makrokosmos widerspiegelt und problematisiert. Eine solche Einbettung in einen großen gesellschaftlichen Kontext fehlt bei Block B vollkommen, so wie den genannten Krimis bzw. dem Film Die Ungehorsame jedwede Form der gesellschaftlichen Kontextualisierung fehlt. Der Missbrauch steht im luftleeren Raum, bleibt die Tat eines Einzelnen und Gegengewalt der einzige Ausweg.

Ohne die Einbettung in einen größeren Kontext aber können die Bilder von (sexualisierter) Gewalt gegen Frauen* im deutschen Fernsehen nur dem bequem distanzierten, elendsvoyeuristischen Blick dienen. „Ach ja“, denken sich die Zuschauer_innen, „Missbrauch ist schon ganz schön scheiße. Aber mit mir hat das ja zum Glück nichts zu tun.“

Doch hat es! Und es ist Aufgabe eines durch seine Zuschauer_innen zwangsfinanzierten, öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramms, genau darauf aufmerksam zu machen, statt sich an objektifizierten Opfern aufzugeilen. Ich habe die Schnauze gestrichen voll. Ihr auch?

Sophie Charlotte Rieger
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