Eine Perspektive ist nicht genug: Gerda Leopold über KARUSSELL

© Gerda Leopold

© Gerda Leopold

Die Regisseurin Gerda Leopold hat sich mit ihrem Film Karussell etwas ganz Besonderes überlegt: Sie wollte ihre Version des Arthur Schnitzler Stückes Reigen nicht auf konventionelle Weise erzählen, sondern aus allen Perspektiven – und das nicht theoretisch, sondern ganz praktisch. Woher die Idee dazu kam, wie ihr die Umsetzung gelang und was sie als Filmemacherin dabei herausgefordert hat, erzählte sie mir in einem kleinen Interview.

FILMLÖWIN: Karussell ist ein „multiperspektiver“ Film. Meine erste und offensichtlichste Frage ist: Warum?

Gerda Leopold: Es begann ganz damit, dass ich mir vorstellte einen Film aus der Subjektive zu machen. Das heißt, ich wollte keine Frau filmen, die ins Wasser springt, sondern wir alle erleben es körperlich, wie man ins Wasser springt. Der Gedanke hatte mich immer total fasziniert. Dazu kam, dass ich mir überlegte, wie man die Umgebung eines Menschen zusammen mit ihm gleichzeitig abbildet.

© Amilux Film

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Und wie kam es von dieser ersten Idee zu der Umsetzung mit dem Multikamerahelm?

Bei einem Freund, Trevor Morgan, einem Videokünstler, sah ich Videos, die mit einem Multikamerahelm mit 5 Kameras erstellt wurden, die vorn, links, rechts, oben und hinten aufnahmen. Und alles, was ich mir vorher überlegt hatte, sprang mir in diesen Videos entgegen, es war wie eine Antwort auf ein langes Suchen. Ich hatte plötzlich die Möglichkeit, Dinge zu filmen, die neben/über/hinter dem Protagonisten stattfinden und die wir Zuschauer alle gleichzeitig sehen können.

Im Gegensatz zu Trevor Morgan wollte ich den Film räumlich zeigen und nicht zweidimensional. Jede Kamera ist eine Wand, die Oberkamera ist die Decke. Sodass wir die Zuschauer in das Denken und Sehen der Protagonisten eingeschlossen sind. Die Zuschauer müssen sich herumdrehen, die Handlung findet nicht nur vor ihnen statt. Sondern auch links, rechts, oben und hinten.

© Amilux Film

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Was war zuerst da: Das Konzept oder die Geschichte bzw. Handlung des Films? 

Wie ich diese Videos sah, dachte ich mir sofort: Das will ich auch machen! Aber ich will einen Film mit Handlung, Schauspielern und einem richtigen Drehbuch. Und eigentlich kann das nur der Reigen von Arthur Schnitzler sein. Natürlich in meiner eigenen Version aus der Jetztzeit. Es erschien mir höchst spannend, den Reigen aus einer subjektiven Multikamerasicht zu drehen. Weil: Im Stück Reigen werden die Handlungen der Akteure gerne moralisch verurteilt. Klar, sie betrügen sich ja auch alle gegenseitig. Aus der subjektiven Sicht heraus, ist Be- und Verurteilen aber gar nicht mehr so einfach. Das ist auch im wirklichen Leben so. Jeder andere hat den totalen Durchblick über dein Leben, nur du nicht.

Wie liefen die Dreharbeiten? Wie dreht eins denn einen multiperspektivischen Film?

Bei Karussell war der Dreh wie bei einem herkömmlich erstellten Film. Außer, dass es keine langen Lichtumbauten gab und wir in längeren Sequenzen die Szenen gedreht haben. Wir hatten keine Ransprünge oder Kurzeinstellungen.

karussell 2

© Amilux Film

Was waren dabei die größten Herausforderungen – für Dich als Regisseurin, die Darstellenden und Mitarbeitenden?

Erstens: Mein Denken. Ich denke natürlich immer unwillkürlich in die Blickrichtung, also nach vorne. Ich musste das einfach ein wenig umstellen. Zweitens: Den Drehplan entlang der Sperrtage der Schauspieler stricken und dazu auch einen möglichst dichten Probenplan erstellen. Die Schauspieler haben sich ziemlich schnell mit den Kameras angefreundet, einige waren sogar wirklich sehr gut. Das Schwierigste war für mich, dass ich nicht am Set anwesend sein konnte (wegen der 360°) und nur über eine 6. Kamera am Helm über Internet ungefähr erahnen konnte, was die Schauspieler spielten. Ich und die mitschauende Continuity merkten, wenn was wirklich total aus dem Ruder lief. Wir sahen‘ s nicht, wir spürten es nur. Das war schon ein ganz schöner Blindflug.

Glaubst Du, dass dieses Filmformat das neue 3D sein könnte?

Es ist nicht 3D, es ist eine andere Form von virtueller Realität. Eine großräumige und großzügige. Du bist nicht eingesperrt in eine Brille, die dir vorschreibt, was du siehst. Hier sitzt du in einem großen Raum, zusammen mit anderen, die du siehst, denn aufgrund der Beamer wird es nicht völlig dunkel. Das Filmbild ist nicht beschränkt auf vorne, es geht weiter als dein 160° Sehen. Egal, in welche Richtung du siehst, du bekommst mit, was sich dort abspielt, wo du nicht hinsiehst. Du sitzt mittendrin in einem Filmschloss

© Amilux Film

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Wo sind deiner Meinung nach die Möglichkeiten und Grenzen dieses Konzepts?

Ich kann mir vorstellen, dass es ausbaubar ist. Im Moment ist es noch ein ziemlicher Akt die Projektionsbox aufzubauen. Sie ist 10m x10m x 8m groß. Und es passen nur ca. 60 Leute hinein. Nach den Vorführungen in Karlsruhe und Wien kann ich dazu sicher mehr sagen.

Wirst Du mit diesem Format weiterarbeiten? Ist ein weiterer Film geplant?

Ja, auf jeden Fall. Es wird wieder ein multiperspektiver Film, diesmal nicht nur aus der Subjektive der Figuren. Wir haben im Mai schon die ersten Kamera- und Perspektiventests gemacht. Ein Treatment zum neuen Film gibt es auch schon.

Und wo können wir Karussell aktuell sehen?

Im ZKM Karlsruhe am 5. 6 um 15h und 18h. Weitere Vorstellungen sind am Do 9. 6. 2016 um 14h und um 18h. Sowie vom Fr 10.6. – So 12.6. um 15h und 18h. In Wien ist Premiere am 19.6. um 19h im Unteren Belvedere. Weitere Vorstellungen  Montag, den 20. 6. –  Sonntag, den 26. 6. Jeweils um 16h in English und um 19h in Deutsch.

Making of Karoussell 20150909 from Amilux on Vimeo.

Sophie Charlotte Rieger
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