DVD: The Keeping Room – Ein feministischer Western

Der Western war seit seinen Anfängen nicht nur ein Spiegel für soziokulturelle Prozesse. Anhand seiner Entwicklung im Laufe der Jahrzehnte lassen sich auch die im steten Wandel begriffenen Rollen von Mann* und Frau* beobachten. Waren die Geschlechter einst noch fein säuberlich voneinander getrennt – die Männer* in der Wildnis, die Frauen* als domestizierende oder promiske Bedrohung in der Zivilisation –  beginnen diese Rollen mehr und mehr miteinander zu verschwimmen. Das ist nicht unbedingt eine neue Entwicklung. Westernheldinnen haben wir schon in den 90ern in Schneller in der Tod, 2011 in Meek’s Cutoff oder kürzlich in The Homesman und Jane Got a Gun gesehen. Doch The Keeping Room geht noch einen Schritt weiter als seine Vorgänger und stellt eine feministische Aneignung des Western-Genres dar.

© Columbia

Schneller als der Tod © Columbia

Der große Unterschied zwischen The Keeping Room und anderen jungen Western mit starken Frauen*figuren ist die thematische Ausrichtung. Drehbuchautorin Julia Hart und Regisseur Daniel Barber nutzen das Westerngenre im traditionellen Sinne und doch wieder ganz anders: Sie nehmen gesellschaftliche Strukturen in den Blick – aber aus der Sicht der Frauen*! Der soziokulturelle Spiegel bildet die Situation und daraus resultierende Probleme von Frauen* in der zeitgenössischen US-amerikanischen Gesellschaft ab.

Der Begriff Rape Culture ist in den USA heute deutlich präsenter als bei uns. So gibt es keinen vergleichbaren Diskurs über sexuelle Gewalt gegen Studentinnen und ein Fall wie der von Emma Sulkowicz, die Jahre lang vergeblich für die Verurteilung ihres Vergewaltigers kämpfte, hat bislang keine deutsche Entsprechung. Das alles bedeutet übrigens nicht, dass es in Deutschland weniger sexuelle Gewalt gibt, sondern nur, dass der Diskurs über dieses Thema weit weniger präsent ist als in den USA. Und es ist eben jener Diskurs, der den Subtext zu The Keeping Room liefert.

© Koch Media

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Im Klima des auslaufenden Bürgerkriegs kämpfen drei Frauen um ihr Überleben: Augusta (Brit Marling), ihre kleine Schwester Louise (Hailee Steinfeld) und die ehemalige Sklavin Mad (Muna Otaru). Doch es ist nicht der Hunger und auch nicht die Angst vor Plünderung, die sie zusammenrücken lässt, sondern die Bedrohung durch sexuelle Gewalt. Um sich erfolgreich zur Wehr zu setzen, müssen sich die Frauen* der Geschichte miteinander verbünden und zwar über alle gesellschaftlichen Grenzen hinweg, unabhängig von Hautfarbe oder Klassenzugehörigkeit.

In The Keeping Room gibt es keinen glorreichen Helden, der die Frauen* in letzter Sekunde vor den bösen Aggressoren rettet. Augusta, Louise und Mad sind ganz auf sich gestellt. Neben der Loyalität der Frauen untereinander ist das Ablegen der Opferrolle der Schlüssel zur Freiheit. Der erste Schritt führt aus der Passivität und Demut in die Verteidigungsposition. Der Freitod, für andere Frauen* der Geschichte ein legitimer Fluchtweg, ist für die drei Heldinnen keine Option. Stattdessen wagen sie es, sich mit Waffengewalt gegen die Eindringlinge zur Wehr zu setzen. Und am Ende gehen sie sogar noch einen Schritt weiter, nämlich von der Verteidigung in den Angriff über, allerdings nicht im Stil eines erbarmungslosen Rachefeldzugs, sondern mit Verstand und gar Empathie.

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Doch die Männer* der Geschichte sind keine eindimensionalen Bösewichte, sondern ebenfalls Opfer von Gewalt, nämlich der Gewalt des Krieges. Ohne sie aus der Verantwortung zu nehmen, gibt The Keeping Room auch den Vergewaltigern eine Geschichte. Auf diesem Weg kann der Film über die reine Anklage hinausgehen, eine Analyse der Gewalt vornehmen und Lösungen anbieten. „Krieg ist grausam“, leitet der Film in einer Titelsequenz seine Geschichte ein, „Es ist sinnlos ihn reformieren zu wollen.“ Die Antwort auf sexuelle Gewalt kann also nicht in Gegengewalt bestehen. Aber worin dann?

Aus der Notlage der Frauen* ergibt sich eine Identitätskrise. Insbesondere Augusta quält sich mit dem Gedanken, nicht der ihr zugedachten Rolle zu entsprechen. Statt einer Ehefrau* müsse sie ein Mann* sein, statt Kinder zu gebären schießen lernen. Was im Kontext des Films zunächst überraschend unemanzipiert klingt, ist ein natürlicher Prozess der Selbstfindung. Frauen* haben in der Geschichte immer wieder Männer*rollen übernehmen müssen, meist nach großen Kriegen, wenn es einfach keine Männer* mehr gab, die bestimmte Aufgaben übernehmen konnten. Aus diesem Grund ist Ruanda beispielsweise noch immer eines der Länder mit dem größten Frauen*anteil in der Regierung. Aber, um mal mit Simone de Beauvoir zu sprechen, „In dem Augenblick, in dem die Frauen anfangen, sich an der Gestaltung der Welt zu beteiligen, gehört diese Welt immer noch den Männern.“ Und es ist nicht einfach, einen aus der Not geborenen Rollen- und Paradigmenwechsel vorzunehmen.

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Aber auch für dieses Problem bietet The Keeping Room eine Lösung an, in dem der Film die Kategorien Mann*/Frau* schließlich auflöst und Geschlecht als etwas Abstraktes und Fluides charakterisiert. „Drei Frauen können doch keine Armee aufhalten“, sorgen sich die Heldinnen. „Aber drei Männer können es!“ ruft Augusta schließlich aus. Und da Geschlecht eben keine natürliche Kategorie, sondern eine soziale Konstruktion ist, können Augusta, Mad und Louise ebenso gut Männer* sein.

Ob sie es schließlich doch mit der Armee aufnehmen können, erfahren wir nicht. Und es ist auch nicht wichtig. Denn wie so mancher Western will auch The Keeping Room vor allem eine gesellschaftspolitische Aussage treffen: Die männliche* Gewalt ist ebenso wenig natürlich und biologisch festgelegt wie alle anderen sexistischen Geschlechtermerkmale. Sie ist das Produkt einer Gesellschaft, die gegen sich selbst in den Krieg zieht. Aber sie ist Realität und um sich erfolgreich zur Wehr zu setzen müssen sich Frauen* miteinander solidarisieren, nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten. Auch hier lohnt sich ein Blick zu Beauvoir, die bereits Mitte des 20. Jahrhunderts in ihrem Werk Das andere Geschlecht bemerkte, dass Frauen im Gegensatz zu anderen diskriminierten Gruppen keine Einheit bildeten, weil sie sich im Gegensatz zu jenen mit ihren Unterdrückern statt miteinander solidarisierten: „Eine Frau kann die Männer nicht einmal im Traum ausrotten. Das Band, das sie mit ihren Unterdrückern verbindet ist mit keinem anderen vergleichbar.“

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The Keeping Room aber ist optimistischer als Beauvoir und glaubt an die Macht der weiblichen Solidarität. Und nicht nur das: Indem der Film Geschlecht als fluide charakterisiert, nimmt er seinem Publikum auch die Angst vor dem Identitätsverlust: Nur weil Du Dich wehrst, bedeutet das nicht, dass Du keine Frau* mehr bist, denn was immer der Begriff Frau* bedeuten mag, darfst Du selbst entscheiden.

Für diese Botschaft erhält The Keeping Room ohne Einschränkung mein Prädikat „emanzipatorisch wertvoll“.

Sophie Charlotte Rieger
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