Berlinale – Sprache:Sex

© Sprechfilm

© Sprechfilm

Sex gehört nicht unbedingt zu den Gesprächsthemen, die selbstverständlich beim Nachmittagskaffee aufkommen. Je nach Verklemmtheitsgrad beschränkt sich die Kommunikation über diesen Teil unseres Lebens auch gerne mal aufs Notwendigste, bemüht sich um Verschleierungen à la Bienchen und Blümchen und findet ohnehin nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Mit Sprache:Sex brechen Saskia Walker und Ralf Hechelmann mit diesen unausgesprochenen Regeln. Ihr Dokumentarfilm besteht ausschließlich aus Einzelinterviews, in denen sich die Protagonist_innen zu ihrer eigenen Sexualität äußern und Überlegungen zu diversen, hiermit verknüpften Themenkomplexen anstellen. Was heißt Beziehung? Funktioniert eine Beziehung ohne Sex oder Sex ohne Beziehung? Wie hat sich die eigene Sexualität entwickelt und wie soll sie zukünftig gelebt werden?

Die Ausschnitte aus den einzelnen Interviews sind grob thematisch und eher assoziativ montiert. Zuweilen ergänzen sie sich, als würden die Sprecher_innen tatsächlich aufeinander Bezug nehmen. An anderer Stelle wirken die einzelnen Aussagen völlig voneinander isoliert. Der rote Faden der Dramaturgie, der sich grob an den eben formulierten Fragen entlanghangelt, schimmert durch das Mosaik der Stimmen nur leicht hindurch. Kleine Zäsuren in der Form unaufgeregter Berliner Straßenszenen bringen die notwendige Entspannung für die Zuschauer_innen, deren Aufmerksamkeit in Anbetracht der vornehmlich verbalen Informationsvermittlung besonders gefragt ist.

Die Auswahl der Protagonist_innen wirft jedoch Fragen auf. So bemühen sich Walker und Hechelmann zwar sichtlich um ein weiblich-männliches Geschlechtergleichgewicht und die Vermeidung sexistischer Stereotype, doch fällt ihre Wahl hier ausschließlich auf heterosexuelle Gesprächstpartner_innen, größtenteils mit hohem Bildungsniveau und aus dem europäischen Kulturraum stammend und niemals mit einer sexuellen Identität, die sich dem binären Gender-Konstrukt entziehen würde. Die Folge ist ein – trotz verschiedener Altersgruppen und Positionen – recht homogenes Bild von Sexualität, das auf geradezu traurige Weise den gesellschaftlich normierten Status Quo manifestiert. Ja, da gibt es eine junge Frau, die in einer offenen Beziehung lebt. Diese wird als solche jedoch gar nicht genutzt und dient überdies ausschließlich dazu, dem männlichen Part Sexkapaden zu ermöglichen, während sich der sexuell grundsätzlich weniger interessierte weibliche Part in hingebungsvollem Verzicht üben möchte. Und ja, da ist ein Mann, dem die sporadischen Affären mehr zu liegen scheinen als eine feste Partnerschaft, der jedoch schließlich einen Kinderwunsch einräumt, welcher natürlich (wirklich natürlich?) nur im Zusammenhang mit einer Paarbeziehung realisierbar ist.

Zwei Dinge trösten über diesen zu eng gefassten Fokus des Films hinweg. Zum einen handelt es sich bei Sprache:Sex um den ersten Film einer offenbar als umfassender angelegten filmischen Auseinandersetzung mit Sexualität. Insofern könnten die hier sehr auffällig klaffenden Lücken in Zukunft durch weitere Filme gefüllt werden. Zum anderen liegt in der Auswahl der Protagonist_innen auch ein gesellschaftlicher Kommentar, denn das so sinnliche Thema wird durch sie auffällig rationalisiert. Mal mehr, mal weniger verlieren sich die Sprecher_innen in geradezu wissenschaftlichen Analysen über die „Kulturphänomene“ Sex und Liebe, anstatt tatsächlich intime Einblicke in ihr Denken und Fühlen zu geben. So bleibt Sprache:Sex – von dem stets phallisch ins Bild ragenden Mikro einmal abgesehen – erstaunlich steril und unsexy. Das Experiment, Sexualität mit Hilfe von Sprache zu beschreiben, schlägt fehl. Aber auch das ist ja eine Aussage!

Aufführungstermine bei der Berlinale 2015

Sophie Charlotte Rieger
Letzte Artikel von Sophie Charlotte Rieger (Alle anzeigen)