Berlinale 2018: Mug (Twarz)

Nach Im Namen des… und Body ist Malgorzata Szumowska mit Mug nun bereits zum dritten Mal im Berlinale-Wettbewerb vertreten. Aber nicht mit der Regisseurin gibt es 2018 ein Wiedersehen: Ihr Hauptdarsteller Mateusz Kosciukiewicz spielt in Mug ebenso erneut eine Hauptrolle wie das Thema Religion, und auch der Spielort ist, wie schon bei Im Namen des… wieder im ländlichen Raum und eine konservativen Gemeinschaft angesiedelt.

Jacek (Kosciukiewicz) lebt mit der ganzen Familie, drei Generationen, auf einem Bauernhof und arbeitet auf der Baustelle einer gigantösen Jesus-Statue. Als langhaariger Heavy Metal Fan fühlt er sich in der Dorfgemeinschaft eingeengt und träumt davon, nach England auszuwandern – eine Idee, die in seiner Familie auf Amüsement und passive Aggression stößt. Jacek, so glauben sie, halte sich für etwas Besseres. Die Mutter (Anna Tomaszewska) drängt auf Ehe und Familiengründung und Jacek folgt diesem Wunsch zumindest so weit, dass er seiner Freundin Dagmara (Malgorzata Gorol) einen Antrag macht. Alles scheint perfekt bis Jacek einen Arbeitsunfall hat und in die Jesus-Statue stürzt. Er überlebt, doch sein Gesicht ist durch den Sturz so schwer verletzt, dass eine Transplantation durchgeführt werden muss – die erste in ganz Europa. Während die Presse sich um ihn schart, begegnet ihm seine Dorfgemeinschaft und selbst die eigene Familie mit großer Skepsis. Seine Mutter glaubt ihn gar vom Teufel besessen und auch Dagmara erkennt ihren Verlobten nicht wieder.

Malgorzata Szumowska erzählt diese Geschichte als Satire auf die Scheinheiligkeit des konservativen Katholizismus, der Nächstenliebe predigt, aber nur zu bereitwillig all jene ausgrenzt, die nicht der präferierten Norm entsprechen. Die Gesellschaft in Mug ist von Fremdenfeindlichkeit durchsetzt, die sich insbesondere gegen Roma richtet. Der Hund von Jaceks Familie heißt Zigan, also „Zigeuner“, in der Kneipe werden rassistische Witze gerissen und unter den wachsamen Augen des halbfertigen Jesus-Statue geraten Polen und Roma in einen handgreiflichen Streit.

Szumowska arbeitet mit Überzeichnung, dem Einsatz von Musik, um eine ironische Brechung der Geschichte zu erreichen, die auf eine tiefere Bedeutungsebene verweist. Die Gesichtstransplantation selbst ist nur ein Bild für „das Andere“, von dem sich die Menschen mit all der ihnen zur Verfügung stehenden Kraft abgrenzen. Nicht das Wesen des Menschen spielt eine Rolle, sondern seine äußere Hülle, denn Jacek bleibt natürlich Jacek, auch wenn nach der Operation anders aussieht als zuvor. Die christliche Solidargemeinschaft versagt vollständig, wenn die ach so frommen Kirchgänger_innen dem nun arbeitsunfähigen Jacek finanzielle Unterstützung versagen. Und selbst der Priester organisiert nur zu gerne einen Exorzismus.

© Bartosz Mronzowski

Die Engstirnigkeit und der begrenzte Tunnelblick der Menschen, der all jenes ausblendet, das nicht ihren beschränkten Vorstellungen entspricht, spiegelt sich auf visueller Ebene wieder: Die Kamera von Michal Englert hat einen auffallend engen Fokus, der stets große Teile des Bildes in Unschärfe belässt und somit unsere Sicht auf die Welt ähnlich beschränkt, wie der Konservatismus die Perspektive der Filmfiguren.

Das Motiv des Kopfes und des Gesichts zieht sich dabei auf verschiedenen Ebenen durch den Film. Auch der Kopf der Jesus-Statue ist „falsch“, blickt nicht in die richtige Richtung, und muss korrigiert werden. Ein Schweinekopf, später der Spitzname für Jacek („Twarz“) wird von den Dorfkindern einem Hund zum Fraß vorgeworfen – ein Hinweis auf die folgenden Brutalität des Arbeitsunfalls.

Es mag Malgorzata Szumowska um die Fremdenfeindlichkeit ihrer polnischen Gesellschaft gehen, doch die Ausgrenzung Jaceks ist im Grunde nur eine konsequente Fortführung jener Skepsis, die ihm schon vor dem Unfall zuteil wurde und die allein auf der äußeren Unterscheidbarkeit von der gesellschaftlich etablierten Norm basiert. Somit lässt sich Mug auf alle Formen von Diskriminierung übertragen – die von Menschen mit Behinderung, die von queeren Personen, die von Angehörigen musikalischer Subkulturen und so weiter.

Der satirische Seitenhieb auf diese realen gesellschaftlichen Probleme ist bei Malgorzata Szumowska jedoch vergleichsweise sanft. Ihrem Film ist die Vorsicht gegenüber eben jener Gesellschaft, die er portraitiert, deutlich anzumerken. Die Regisseurin und Drehbuchautorin arbeitet sehr subtil, um mit ihrer Geschichte ein möglichst breites Publikum abholen zu können, ohne es vor den Kopf zu stoßen. Mug ist eine zahme, keine bissige Satire, in ihren Beobachtungen jedoch treffsicher und vielsagend. In jedem Fall hat Malgorzata Szumowska mit diesem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag ihr komödiantisches Talent unter Beweist gestellt und einen ebenso unterhaltsamen wie klugen Film geschaffen, der auf Grund seiner universellen Themen das Zeug dazu hat, ein internationales Kinopublikum abzuholen.

Sophie Charlotte Rieger
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