Berlinale 2012: Joven & Alocada

Dieser Text stammt von meinem ersten Blog SophiesBerlinale und gehört somit zu meinen ersten wackligen Schritten als Filmjournalistin. Deshalb bitte ich darum, etwaige Mängel zu entschuldigen und wohlwollend darüber zu schmunzeln.

© Sundance Selects

© Sundance Selects

Obwohl Joven & Alocada in der Sektion Generation 14+ läuft, wird der Film erst ab einem Alter von 16 Jahren empfohlen. Zu explizit sei die Darstellung von Sexualität, so die Erklärung. In der Tat nimmt Filmemacherin Marialy Rivas hier kein Blatt vor den Mund bzw. die Linse. Ihre Hauptfigur Daniela (Alicia Rodríguez) kommt zwar aus einem streng evangelikalen Elternhaus, doch das hindert sie nicht daran, einem pubertären Drang nach sexueller Selbstentfaltung nachzugehen. Ihre Abenteuer hält sie auf einem Blog fest, in dem sie durchaus auch den einen oder anderen Zweifel in Bezug auf ihre Religionszugehörigkeit artikuliert. Die Situation spitzt sich zu, als Daniela sowohl eine Beziehung zu ihrem sehr frommen Kollegen Tomás (Felipe Pinto) als auch zu ihrer lesbischen Kollegin Antonia (María Gracia Omegna) eingeht. In ihr wächst das Bedürfnis, sich durch den Akt der Taufe von ihren Sünden reinzuwaschen.

Was in Joven & Alocada auf der inhaltlichen Ebene passiert, geschieht auch auf der visuellen. Die Elemente der Jugendkultur – Internet, Blogs, Facebook, MSN, Comics, Videoclips – finden Eingang in den Stil des Films. So werden die Kommentator:innen auf Danielas Blog stets wie durch eine Webcam vor ihrem PC sitzend gezeigt. Der Film ist strukturiert durch die Überschriften von Danielas Blogeintrag – allesamt Bibelzitate, einige dem Inhalt des Films entsprechend variiert. Teilweise ergänzen animierte Comic-ähnliche Sequenzen die Spielfilmhandlung. In diesem chaotische Potpurri, das die Welt eines pubertierenden Teenagers auf verschiedenen Ebenen widerspiegelt, wirkt Daniela verloren, orientierungslos, auf der Suche nach sich selbst. Dabei sind ihre Ansprechpartner:innen – wie sie selbst an einer Stelle aufzählt – Paulus, Mutter, Gott, Blogger. Auch hier wird die Vielfältigkeit der Einflüsse deutlich, der sich Daniela und im Grund eine ganze Generation ausgesetzt sieht und innerhalb derer entschieden bzw. Prioritäten gesetzt werden müssen.

Sicher ist Danielas religiöser Hintergrund speziell, doch immer wieder entsteht für mich die Frage, ob es die Thematik der Religion in diesem Film wirklich braucht, oder ob es nicht im Grunde um die allgemeine pubertäre Orientierungslosigkeit geht, die in jedem kulturellen Kontext stehen könnte. Da Religion hier nichts ist, was ernsthaft verhandelt wird – positive Aspekte werden vollkommen ausgeblendet – hätte es dem Film in meinen Augen geholfen, wenn er auf diesen etwas zu plakativen Hintergrund verzichtet hätte. Da Joven & Alocada uns aber weißmachen will, dass er eine wahre Geschichte erzähle, können wir dies Marialy Rivas nur schwerlich ankreiden.

Daniela versucht im Laufe des Films herauszufinden, welchen Moralkodex sie ihrem Leben zu Grunde legen möchte: Den streng religiösen und konservativen der Mutter, den freier interpretierten, aber evangelikal unterfütterten der geliebten Tante oder einen liberalen, von der Popkultur diktierten Moralkodex, dessen dominantes Merkmal die Abwesenheit von Regeln zu sein scheint. Zu ihrem Schrecken muss sie schließlich erfahren, dass sie in ihrem Streben, sich von der strengen Mutter zu emanzipieren, ihre eigenen moralischen Vorstellungen eine nach der anderen über Bord geworfen hat. Vor diesem Hintergrund steht auch ihre Sehnsucht, sich durch die Taufe von ihren Sünden reinzuwaschen – ein Vorhaben, das fataler Weise scheitert.

Am Ende ist Daniela genauso verloren wie am Anfang und dennoch entsteht keine Tragik. Vielmehr erweckt sie den Eindruck, als habe sie in der Orientierungslosigkeit den Wert der Freiheit entdeckt, den Möglichkeitsraum, der durch die Abwesenheit des Dogmas entsteht.

Joven & Alocada ist vermutlich wirklich für Augen ab 16 gedacht. Das begründe ich persönlich aber nicht mit dem Anblick erigierter Penisse, sondern mit der Abwesenheit einer klaren moralischen Botschaft. Das Verständnis des Films erfordert eine Menge Reflektion, die einem Erwachsenen ohne Frage leichter fällt als einem Kind. Ob ich erwachsen genug bin, um den Film richtig zu verstehen, bleibt jedoch eine offene Frage.

Sophie Charlotte Rieger
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