Berlinale 2010: Live aus Peepli

Dieser Text stammt von  SophiesBerlinale und gehört somit zu Sophies ersten wackligen Schritten als Filmjournalistin. Deshalb bitten wir darum, etwaige Mängel zu entschuldigen und wohlwollend darüber zu schmunzeln.

© Alive

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Indien ist sei Dritte Welt Land, sagt die Regisseurin Anusha Rizvi beim Nachgespräch von Live aus Peepli. Es sei Zeit, dass Indien das akzeptiere. Das Land bestünde nicht nur aus großen Städten wie Delhi und Bombay. 70% der Bevölkerung seien auf die Landwirtschaft angewiesen, das müsse die Innenpolitik berücksichtigen.

Die Filmemacherin ist jung und informiert. Sie macht sich Gedanken über die Missstände in ihrem Land. Journalistin möchte sie nicht mehr sein, stattdessen macht sie jetzt Filme. Live aus Peepli ist der erste. Hier erzählt sie die Geschichte zweier Brüder, die den Landbesitz der Familie retten wollen. Da die Familie eines Selbstmörders eine staatliche Entschädigung erhält, beschließen die beiden, einer der beiden, Natha, solle sich das Leben nehmen. Durch einen Zufall erfährt ein Regionalreporter von diesem Plan und berichtet in der Zeitung darüber. Plötzlich befindet sich Natha in einem riesigen Medienrummel. Das kleine Dorf ist voller Journalist:innen aus dem ganzen Land, die ihn bis auf die Toilette begleiten wollen. Da die Region kurz vor den Wahlen steht, wird die Situation der armen Bäuer:innen plötzlich zum Politikum und jede:r will Natha für die eigenen Interessen nutzen.

Ziemlich traurig eigentlich, wenn das nicht alles so absurd wäre. Die Regisseurin behauptet zwar, sie hätte nicht vorgehabt, einen lustigen Film zu machen, aber ich persönlich nehme ihr das nicht ab. Klar, die Komik entsteht teilweise durch die Nebeneinanderstellung zweier völlig unterschiedlicher, indischer Welten – das kleine Dorf und die Journalist:innen aus der großen Stadt. Nichtsdestotrotz ist zum Beispiel Nathas Familie sehr überzogen dargestellt. Seine Frau ist boshaft und wird nicht müde, ihn immer wieder als Nichtsnutz zu beschimpfen. Seine Mutter ist krank, insbesondere im Kopf, und nur damit beschäftigt, Schimpfwörter umherzuschreien. Natha selbst ist introvertiert, wirkt teilweise geistig zurückgeblieben. Mir kann keiner erzählen, dass das ernst gemeint sein soll. Das ist aber nichts Schlechtes! Mir gefällt die satirische Art und Weise, mit der hier gearbeitet wird, die einen immer im Zweifel lässt, ob Lachen oder doch Weinen die adäquate Reaktion auf das Gesehene wäre.

Der Film macht uns keine Hoffnungen darauf, dass sich etwas an der Situation der Landbevölkerung ändern wird. Da Natha offiziell bei einem Brand ums Leben kommt, wird die Entschädigung nicht ausgezahlt – schließlich handelt es sich nicht um einen Selbstmord. Die Familie wird also voraussichtlich ihr Land verlieren. Zudem wird der einzige der Journalist:innen, der den Handlungsbedarf erkannt hat, mundtot gemacht, in dem die Regisseurin ihn sterben lässt. Natha, heimlich dem Brand und dem Chaos entkommen, geht in die Stadt, wo er auf einer Baustelle arbeitet. Dort sitzt er genauso geistesabwesend im Staub wie vorher in seinem Dorf. Nichts ändert sich.

Ein unterhaltsamer Film, der zum Nachdenken anregt und bis auf kleine Längen im Mittelteil gut erzählt ist. Da der Produzent zumindest in Bollywood bereits bekannt ist, ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass Live aus Peepli seinen Weg in das eine oder andere deutsche Programmkino finden wird.

Sophie Charlotte Rieger
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