Auf DVD: The Voices

Marjane Satrapi dürfte den meisten wohl vor allem als Comicbuchautorin und Regisseurin der Filme Persepolis und Huhn mit Pflaumen bekannt sein. Bei dem Namen Marjane Satrapi denke zumindest ich als erstes an Animationen und politische Geschichten, die mit ihrer iranischen Herkunft zusammen hängen. Woran ich beim Namen Marjane Satrapi jedoch auf keinen Fall denke, ist eine Horrorkomödie. Das liegt vermutlich daran, dass ihr vorletzter Film, die Krimi-Komödie La bande de Jotas, hier in Deutschland nahezu unbekannt ist.

Aber ihr jüngster Film, The Voices, ist genau das: eine Horrorkomödie und wie erwartet grenzt sich Sartrapi auch mit diesem Film demonstrativ von ihrem frühen Oeuvre ab. The Voices hat nun wirklich überhaupt gar nichts mit dem Iran zu tun, sondern spielt in einer sehr klassischen und völlig austauschbaren US-amerikanischen Kleinstadt, in der der Sheriff seine Bürger_innen noch alle beim Namen kennt und Karaokebars und „Erlebnisgastronomie“ die Highlights der Abendunterhaltung darstellen. Und mittendrin steht zwischen rosa Gabelstaplern ein naiv-debiler Ryan Reynolds im rosa Arbeitsoverall.

© Ascot

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Und da ist sie dann irgendwie doch wieder, die Sartrapi die wir kennen. Denn auch wenn The Voices fast vollständig (aber wirklich nur fast!) auf Animationen verzichtet, erinnert die stilisierte Optik des Films doch definitiv an eine Comic-Ästhetik. Alles ist einen kleinen Tick überzogen, unecht, „wie gemalt“. Die pinke Arbeitskleidung, die Bombenstimmung bei der Polonaise anlässlich der Firmenfeier und auch die umwerfende Ausstrahlung der Kollegin Fiona (Gemma Arterton). Schon bevor die Zuschauer_innen realisieren, dass Jerry nicht nur mit seinen Haustieren spricht, sondern auch deren Antworten hört, ist also mehr als deutlich, dass The Voices sich selbst nicht sonderlich ernst nimmt.

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© Ascot

Die Vorankündigung eines Unheils mittels Blutspuren im animierten Filmvorspann erscheinen in Anbetracht dieser Bilderbuchwelt deplatziert. Was soll hier schon Furchtbares geschehen? Okay, Jerry hat ganz offensichtlich eine große Schraube locker, leidet unter Schizophrenie und einer Anpassungsstörung, aber bösartig ist er doch nun wirklich nicht… Nicht halb so bösartig jedenfalls wie sein vulgärer Kater Mr. Whiskers.

Damit an der Schizophrenie ihres Helden auch ja kein Zweifel aufkommt, lässt Marjana Satrapi Hauptdarsteller Ryan Reynolds seine Tiere selbst sprechen. So kommt es auch, dass die Stimme der Katze für ihre Größe immer deutlich zu laut ist. Es ist eben nicht Mr. Whiskers, der spricht, sondern Jerry selbst.

© Ascot

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In einer absurd-witzigen und bitterbösen Verkettung ungünstiger Ereignisse verwandelt Sartrapi ihre charmante Komödie schließlich in einen Horrorfilm. Da spritzt das Blut, Körper werden in ihre Einzelteile zerlegt, ohne jedoch dass The Voices seine Bilderbuchästhetik und Komik einbüßen würde.

Bis Jerry in seiner Verzweiflung endlich zu den verordneten Psychopharmaka greift. Und nun verstehen wir Zuschauer_innen, dass nicht nur die sprechenden Tiere, sondern auch die Bilderbuchwelt ausschließlich Jerrys Fantasie entspringen. Die Realität ist trist, dreckig und in Anbetracht verkrusteter Blutspuren und zerteilter Körperteile in Tupperwarentürmen auch ziemlich eklig.

© Ascot

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Jerrys Psychose ist eine Realitätsflucht. In seiner Welt, in der inzwischen nicht mehr nur Tiere, sondern auch abgetrennte Köpfe mit ihm sprechen, muss er sich mit den Traumata seiner Vergangenheit nicht auseinandersetzen. Es ist, als würde Marjane Satrapi uns damit sagen wollen: Ich möchte viel lieber eine Komödie drehen, anstatt mich immer wieder mit meiner traurigen Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Es sei ihr gegönnt, vor allem, wenn das Ergebnis sich derart unterhaltsam gestaltet. Doch ganz im Reinen bin ich mit The Voices nicht. Den Bechdl-Test besteht der Film nur mit Biegen und Brechen und auch die Sympathie für einen Frauenmörder stößt mir trotz aller humoristischen Abstraktion negativ auf. Das ist ein bisschen so, als würden wir Norman Bates oder Michael Meyers an unsere Brust drücken, ihr Haupt streicheln und sagen: „Ist nicht so schlimm. Du hattest einfach eine schwere Kindheit.“ Auch wenn der Abspann mit einer quietschbunten Musical-Performance noch einmal unmissverständlich die satirische Distanz des Films zu sich selbst unterstreicht, bleibt – zumindest bei mir – eine unbequeme Ratlosigkeit.

DVD-Start: 6. Oktober 2015

Sophie Charlotte Rieger
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